M. Azaryahu: An Everlasting Name

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Titel
An Everlasting Name. Cultural Remembrance and Traditions of Onymic Commemoration


Autor(en)
Azaryahu, Maoz
Erschienen
Oldenburg 2021: De Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten
203 S.
von
Jacques Picard, 1. Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg 2. Ecole supérieure de Berne / Fachhochschule Bern

Während die nicht wenigen Forschungs- und Diskussionsbeiträge zu Erinnerung und Gedenkweisen sich während den letzten Jahren zumeist um Fragen der politischen Funktionen und der kulturellen Identität drehen oder den Legitimierungscharakter des Erinnerns und Gedenkens zum Thema machen, haben sich einige wenige Autoren und Autorinnen der Bedeutung des Onymischen, das heisst der Macht der Namen im Vorgang der Erinnerung zugewandt. Onymisches Gedenken, das Erinnern von Namen, mit Namen und durch Namen, ist eine zeitlos scheinende Technik, Gedenken zu transportieren und Erinnerung zu schaffen. Zu den bemerkenswerten Beiträgern dieser Forschung gehören Karen Radner, Thomas W. Laquer und Maoz Azaryahu. Letzterer öffnet mit seiner jüngsten Publikation «An Everlasting Name – Cultural Remembrance and Traditions of Onymic Commemoration» ein Panorama an Einsichten und Belegen, die seine eindrückliche Beschäftigung mit dem Thema dokumentiert. Das zeigt sich schon daran, dass dieser Autor auf seinen Wegen rund um den Globus vielerlei Orte, Stätten und Plätze aufgesucht hat, an denen er sein Material sammeln konnte, um es zu einer auch theoriekondensierten Darstellung zu verdichten. Seine Beobachtungen stammen von Reisen, die den Kulturgeographen der Universität Haifa nach Basel, Berlin, Budapest, Madrid, New York, Prag, Rom, Sizilien, St. Petersburg, Trier, Triest, Wien, Wroclaw geführt haben – nicht zu vergessen an Orte in Israel wie Haifa, Jerusalem und vor allem der Stadt Tel Aviv, zu der Azaryahu eine kulturgeschichtliche Mythographie als Beispiel einer urbanen Moderne verfasst hat.
Dass in Everlasting Name eine grosse Materialfülle auf präzis gefasste, generalisierbare Aussagen kontextualisiert worden ist, bemisst sich am wohltuend knappen Umfang dieses 200-seitigen Buches. Azaryahu bietet trotz solcher Verknappung Anschaulichkeit in der Darstellung komplexer Wirkungen. Beispielhaft mag dies die Geschichte unter dem Titel «Wer ist Baruch Jamili» verdeutlichen, deren Mehrschichtigkeit schon aus der Erzählung evident wird. Ein aus dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 stammendes Graffiti «Erinnert euch an Baruch Jamili», angebracht auf einem Wasserreservoir an der Strasse zwischen Tel Aviv und Jerusalem, hält die Todesangst eines unbekannten Soldaten am Vorabend kriegerischer Auseinandersetzung fest. Inzwischen führt dort die ausgebaute Autostrasse vorbei, an denen offizielle Gedenkmale an den Krieg erinnern. In den 1970er recherchiert ein Journalist in einem Beitrag eines Lokalblattes den Namen des vermeintlich gefallenen Soldaten, der sich aber nicht als tot, sondern lebendig erweist und der als Klempner in einer Provinzstadt lebt. Weitere zehn Jahre später dichtet ein Rocksänger, der sich auf seinen Autofahrten vom Graffiti offenbar inspiriert fühlte, die «Ballade von Baruch Jamili», ohne freilich überhaupt etwas über die Vorgeschichte zu wissen. Weitere zwanzig Jahre später greift dank Internet der neugierige Veranstalter eines Open-Air-Festivals die vergessene kurze Geschichte des Journalisten auf, und so kommt es, dass der nunmehr leibhaftig «entdeckte» Baruch Jamili als geladener Ehrengast dem Konzert der besagten Rockband beiwohnt. Inzwischen aber ist das Graffiti verblasst, das Wasserreservoir brüchig geworden, und so plant die Wasserbehörde seinen Abriss, um es durch einen Neubau zu ersetzen. Dies führt zu Protesten der Rockband und der israelischen Kulturszene sowie Jamili selber, sie deuten das Verschwinden der Grafitti des «unbekannten Soldaten» als Angriff auf ihre gesellschaftliche Rolle als Musiker. Eine Intervention der Denkmalbehörde resultiert alsdann darin, dass das alte Wasserreservoir unter Schutz gestellt wird – und damit auch das Graffiti des Baruch Jamili und seiner Rockballade, die nunmehr ikonischen Status erlangt haben.
Azaryahu demonstriert an dieser Geschichte, die nicht frei von Ironie ist, den Komplex der Aufladungen und Deutungsgehalte onymischen Gedenkens. Er zögert nicht, an diesem und weiteren Beispielen den Leser, die Leserin auch in Texte und Graffiti der Antike oder des Mittelalters zu führen und dann von Neuem in die Kontexte der Modernen zurück zu gelangen, um den Blick für theoriegebundene und kritische Erklärungen zu ermöglichen. «Gedenkt meines Namens» ist ein viel zitierter Satz aus alten ägyptischen, mesopotamischen, biblischen, griechischen und römischen Quellen, der seither vielfach abgewandelt seine Fortschreibung bis in die Zeit von uns Heutigen feiert – getragen vom Wunsch, sich unsterblich zu machen, über den moralischen Anspruch, mit Namensgebungen Gerechtigkeit zu üben, bis hin zur damnatio memoriae, die nach 1945 beispielsweise zur Umbenennung von Örtlichkeiten in unseren Städten geführt hat. Der Mittel und Wege onymischen Erinnerns, Gedenkens und Vergessenmachens sind nicht wenige: das Schreiben von Biografien, die Benennung und Umbenennung von Strassen oder Flughäfen, das Aufstellen von Erinnerungstafeln mit den Namen von Gefallenen oder Ermordeten, das Abhalten von Ritualen im Namen derer, die sich als unsterblich sehen wollen oder als unsterblich erklärt werden oder als verschollen gelten. Die Fortschreibung entsprechender Strategeme zu analysieren ist Anliegen dieser Untersuchung, die sich auch nicht weniger literarischer Zeugnisse dazu annimmt. Deutlich wird, dass die offenkundige oder verdeckte Rede von der Unsterblichkeit nicht nur ein symbolischer, vielmehr ein eminent politischer Akt sein kann.
Jenseits des nominalen Nachlebens bleibt die Frage, wer die Menschen waren, denen onymisches Gedenken oder Vergessen zukommt. Sie werden zuweilen in Spiel oder auch Dokumentarfilmen «sichtbar» gemacht oder sollen in Biografien kritisch, doch anschaulich dargestellt werden. Auch in solcher Weise wird der Macht der Namen von Neuem legitimierende Deutungen zugeführt, um dem Vergessen zu entgehen oder ein bestimmtes Gedenken durchzusetzen. Dass man aber dem Paradox des Onymischen nicht entkommt, war bereits den Alten bewusst, wie dies ein Satz aus dem Buch Kohelet (das in Griechisch Ecclesiastes, in Deutsch Prediger genannt wird) verdeutlichen mag, wenn er uns auf die Grenzen allen Erinnerns verweist: Auch derer, die auf die Nachfolgenden dereinst noch nachfolgen werden, wird nicht gedacht werden (Kohelet 1,11). Was bleibt ist allenfalls ein Name, und dessen unter den Nachfahrenden zu gedenken, ist stets ungewiss.
Wir haben es beim onymischen Gedenken erstrangig mit Posterioritäten zu tun, und es bedarf, um dieses Phänomen zu verstehen, auch in den entsprechenden politischen Ambitionen par excellence, einer genaueren und kritischen Analyse der Wirkungen und Mechanismen in Zeiten und Räumen. Dazu liefert die Lektüre dieses schlank und klug geschriebenen Buches dicht und anschaulich präsentierte Einsich-ten.

Zitierweise:
Picard, Jacques: Rezension zu: Azaryahu, Maoz: An Everlasting Name. Cultural Remembrance and Traditions of Onymic Commemoration, Oldenburg 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 484-486. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

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